Syrien: Frankreichs Standpunkt verstehen
Was sind Frankreichs Prioritäten in Syrien?
Vor zehn Jahren protestierte das syrische Volk friedlich für Frieden und Würde. Wir stehen ihm weiterhin zur Seite, um den humanitären Bedarf zu decken, das Völkerrecht zu verteidigen, Straflosigkeit zu bekämpfen und endlich eine politische Lösung zu finden, die die einzig mögliche ist.
Emmanuel Macron, 15. März 2021
Frankreich will im Interesse einer endgültigen Beilegung des Konflikts seinem Handeln vier untrennbare und sich ergänzende Richtungen geben:
- Den Kampf gegen den Terrorismus an der Seite unserer Partner der internationalen Koalition gegen Daesch weiterführen
- Der notleidenden Zivilbevölkerung Hilfe – insbesondere humanitäre Hilfe – zukommen lassen
- Für eine politische Lösung des Konflikts eintreten, insbesondere durch die Unterstützung der Bemühungen der Vereinten Nationen, die als einzige Lösung ein dauerhaftes Ende der Krise herbeiführen kann, damit Syrien endlich wieder Frieden findet
- Gegen die Straflosigkeit der in Syrien begangenen Verbrechen kämpfen
Wie setzt Frankreich seinen Kampf gegen den Terrorismus in Syrien fort?
Die terroristische Gruppe Daesch hat sowohl in Syrien als auch in Irak große militärische Niederlagen erfahren. Dennoch ist die von dieser Terrororganisation ausgehende Bedrohung nicht verschwunden, wie es die zahlreichen Handlungen in den letzten Monaten insbesondere in der Badia-Wüste und im Euphrat-Tal bezeugen.
Frankreich geht deshalb an der Seite seiner Partner der internationalen Koalition gegen Daesch weiterhin entschlossen gegen den Terrorismus in Syrien vor. Zunächst handelt es sich bei diesem Vorgehen um militärische Maßnahmen im Rahmen der Operation Chammal, die einen Beitrag zu den internationalen Anstrengungen an der Seite unserer Verbündeten für einen dauerhaften Sieg über die terroristische Organisation leistet.
Frankreich setzt sich außerdem für die Stabilisierung der durch die Koalition aus der Gewalt von Daesch befreiten Gebiete ein, um jegliches Wiederaufkeimen terroristischer Gruppen zu verhindern. Dazu unterstützt Frankreich mehrere Nichtregierungsorganisationen durch die Finanzierung lokaler Wiederaufbauprojekte sowie multilaterale Einrichtungen, die vor Ort tätig sind.
Darüber hinaus unterstützt Frankreich vollumfänglich die von den Vereinten Nationen eingeführten Mechanismen zur Bekämpfung der Straflosigkeit bei den von Daesch begangenen Verbrechen. Dabei handelt es sich um eine Frage der Gerechtigkeit und der Sicherheit.
Mehr über den Kampf gegen Daesch auf unserer Webseite
Auf welche Weise unterstützt Frankreich die hilfsbedürftige Zivilbevölkerung?
Die humanitäre Lage in Syrien hat sich seit Beginn des Konflikts zusehends verschlechtert und erreicht von Jahr zu Jahr neue erschreckende Zahlen:
- Über 13 Millionen Syrerinnen und Syrer, darunter 6 Millionen Kinder, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen;
- 80 % der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze.
Mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung musste ihre Häuser verlassen und lebt nun unter extrem prekären Bedingungen: 6,7 Millionen Menschen wurden zu Binnenflüchtlingen – davon nahezu 3 Millionen in der Provinz Idlib – und 5,6 Millionen flüchteten in die Nachbarstaaten (Türkei, Libanon, Jordanien, Irak und Ägypten).
Darüber hinaus hat die Covid-19-Pandemie das aufgrund der Jahre der generalisierten Gewalt und der Zerstörung humanitärer Infrastrukturen ohnehin schon fragile Gesundheitssystem weiter geschwächt.
Mittlerweile sind 12,4 Millionen Syrerinnen und Syrer von Ernährungsunsicherheit betroffen, sprich über die Hälfte der Bevölkerung, und in nur 12 Monaten werden sich weitere 4,5 Millionen Menschen mit dieser Situation konfrontiert sehen.
Vor dem Hintergrund, dass in Syrien das 11. Konfliktjahr beginnt, hat Frankreich bei der Vierten Brüsseler Konferenz im Juni 2020 weitere finanzielle Hilfen angekündigt, um so:
- der humanitären Notlage in Syrien zu begegnen;
- syrische Geflüchtete zu unterstützen;
- den Aufnahmeländern zu helfen.
Der finanzielle Beitrag Frankreichs für den Zeitraum 2021-2022 beläuft sich auf mehr als 560 Mio. Euro, die der notleidenden syrischen Bevölkerung, den Geflüchteten und den Aufnahmeländern (insbesondere Libanon und Jordanien) zugutekommen sollen. Der Beitrag setzt sich aus Spenden in Höhe von 138 Mio. Euro und Krediten in Höhe von 425 Mio. Euro zusammen.
Sowohl durch bilaterale Hilfen als auch im Rahmen der Europäischen Union arbeitet Frankreich mit vollem Einsatz daran, auf die Notlage der in Syrien verbliebenen Bevölkerung zu reagieren.
- Auf nationaler Ebene hat der Staatspräsident 2021 das vierte Jahr in Folge die Bereitstellung von 50 Mio. Euro beschlossen, die zur Unterstützung der vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen in Syrien hauptsächlich im Nordwesten und im Nordosten des Landes dienen sollen.
- Frankreich engagiert sich an der Seite seiner europäischen Partner. Die Europäische Union hat für den Zeitraum 2021-2022 Hilfe für Syrien und seine Region in Höhe von 560 Mio. Euro vorgesehen. Ein Teil dieser Hilfe wird der gesundheitlichen Notlage abhelfen und dabei im weiteren Sinn zur Resilienz der Bevölkerung sowie zur Stärkung des medizinischen Sektors in Syrien und seinen Nachbarländern beitragen.
- In den internationalen Gremien mobilisiert Frankreich seit Beginn der Krise seine Partner innerhalb der Vereinten Nationen, um den für Millionen Menschen lebenswichtigen humanitären Zugang in Syrien sicherzustellen. Bei der Lieferung von humanitären Hilfsgütern kommt es jedoch weiterhin zu zahlreichen Blockierungen, insbesondere durch das syrische Regime. Aus diesem Grund ist es Frankreich besonders wichtig, den grenzüberschreitenden Mechanismus der Zustellung von Hilfsgütern beizubehalten, dank dessen die syrische Bevölkerung, und insbesondere die über 4 Millionen Einwohner Idlibs, in den Genuss internationaler humanitärer Hilfe kommen. Der Schutz von humanitärem und medizinischem Personal ist zudem einer der Schwerpunktbereiche der Aktion Frankreichs in diesem Zusammenhang.
Mehr über die humanitäre Hilfe Frankreichs in Syrien
Außerdem engagiert sich Frankreich für die Aufnahme von Syrerinnen und Syrern. So konnten diese von mehreren Aufnahmeprogramme für besonders gefährdete und schutzbedürftige asylsuchende Personen aller Nationalitäten und Konfessionen profitieren.
Einerseits gibt es das Programm zur Vergabe von Visa an asylsuchende Menschen aus Syrien, die im Exil in Libanon, der Türkei oder Jordanien leben, und denen so ein legaler Zugang zum französischen Staatsgebiet ermöglicht wird, wo sie Asyl beantragen können.
Andererseits beteiligt sich Frankreich seit 2014 am Resettlement-Programm des UN-Flüchtlingskommissariats (HCR). Dieses beinhaltet die Aufnahme von Geflüchteten in Frankreich, deren Unterlagen Frankreich zuvor vom HCR vorgelegt wurden, das Ihnen Schutz in einem sogenannten Erstasylland gewährt hat.
Welche Strategie verfolgt Frankreich im Hinblick auf eine Beilegung des Konflikts?
Aus französischer Sicht ist eine dauerhafte Rückkehr zur Stabilität in Syrien nur mittels einer politischen Lösung möglich, die den legitimen Bestrebungen aller Syrerinnen und Syrer gerecht wird und ihnen ein friedliches Leben in ihrem Land ermöglicht.
Mit der Annahme des Genfer Kommuniqués von 2012 und der Resolution 2254 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom Dezember 2015 hat sich die internationale Staatengemeinschaft auf einen politischen Rahmen geeignet, um die Krise in Syrien zu beenden. In diesem Rahmen befürwortet Frankreich die Wiederaufnahme der innersyrischen Verhandlungen in Genf unter der Schirmherrschaft des Sondergesandten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen.
Frankreichs Ziel ist es, die Voraussetzungen für einen glaubhaften, tragfähigen und inklusiven politischen Prozess zu schaffen. So ruft Frankreich durch diesbezügliche Gespräche mit sämtlichen in Syrien engagierten Partnern zur Wiederaufnahme der Verhandlungen auf, um eine Beilegung der Krise zu fördern.
Seit den Aufständen im Jahr 2011 hat Frankreich die Opposition, die Syrien in den Verhandlungen vertritt, stets unterstützt. Frankreich steht außerdem im Dialog mit den Unterstützern des Regimes, damit diese letzteres ermutigen, sich aufrichtig an den Verhandlungen zu beteiligen. Schließlich unterstützt Frankreich beständig die Bemühungen des Sondergesandten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen mit dem Ziel einer Wiederaufnahme der innersyrischen Gespräche sowie der Ausarbeitung einer dauerhaften politischen Lösung.
Welche Antwort auf die Kriegsverbrechen des syrischen Regimes und auf seinen Chemiewaffeneinsatz hält Frankreich bereit?
Seit 2011 hat sich das Regime von Bachar Al-Assad wiederholt Verletzungen grundlegendster Rechte zuschulden kommen lassen, die möglicherweise Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Frankreich setzt sich deshalb dafür ein, dass jene, die für diese Verbrechen verantwortlich sind, sich vor Gericht verantworten müssen.
Unsere gemeinsame Bemühung um Gerechtigkeit in Syrien beinhaltet zunächst die Dokumentation der Verbrechen und die Identifizierung der Verantwortlichen. Sie kommt auf zwei Arten zum Ausdruck:
- Einerseits wurde die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission, die durch eine Resolution des Menschenrechtsrats im August 2011 eingerichtet wurde, damit beauftragt, den Sachverhalt zu ermitteln und über die Ausschreitungen in Syrien Bericht zu erstatten.
- Andererseits konnte durch den 2016 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen eingerichteten Internationalen Unabhängigen Untersuchungsmechanismus für Syrien ein entscheidender Schritt hinsichtlich der Identifizierung der Verantwortlichen für diese Verbrechen getätigt werden, indem bei der Aufbewahrung der Beweismittel geholfen wurde und Akten zusammengestellt wurden, um die Untersuchungen der nationalen Gerichte, u. a. in Frankreich, zu erleichtern.
Frankreich unterstützt außerdem das Sammeln von Beweisen durch verschiedene syrische Nichtregierungsorganisationen vor Ort und mobilisiert zudem weiterhin die internationale Staatengemeinschaft, gegen die vermehrten Verstöße gegen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht durch das syrische Regime vorzugehen, indem es gemeinsam mit seinen Partnern bei jeder Sitzung des Menschenrechtsrats eine Resolution zu diesem Thema einbringt.
Ferner unterstützt Frankreich die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) in vollem Umfang und hat seit 2016 nahezu 2,5 Mio. Euro für die OVCW-Tätigkeiten für Syrien bereitgestellt. Der Einsatz von chemischen Waffen durch das Regime wurde durch den gemeinsamen Mechanismus UN-OVCW und anschließend durch die Untersuchungsmission (FFM) der OVCW bestätigt. Für die Identifizierung der Verantwortlichen für die Chemiewaffenanschläge ist das Investigation and Identification Team (IIT) der OVCW zuständig.
Es obliegt nunmehr den Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft, in den entsprechenden Gremien tätig zu werden und aus den Berichten Konsequenzen zu ziehen. Zu diesem Zweck hat Frankreich bereits im Januar 2018 die Schaffung der internationalen Partnerschaft gegen die Straflosigkeit beim Einsatz von Chemiewaffen angeregt. Diese Partnerschaft umfasst heute 40 Staaten und die Europäische Union und stellt eine unverzichtbare Koordinierungsplattform dar.
Stand: Mai 2021