Isabel Hénin, deutsche Austauschdiplomatin im französischen Außenministerium
Anfang 1986 äußerten der deutsche und der französische Außenminister, Hans-Dietrich Genscher und Roland Dumas, die Idee der Gestaltung eines Austauschprogramms für die Beamten ihrer beiden Ministerien, damit diese die diplomatische Praxis des Partnerlandes kennenlernen und dadurch die deutsch-französische Zusammenarbeit im Arbeitsalltag vertieft wird.
Die Beamtenaustauschprogramme wurden offiziell durch den deutsch-französischen Gipfel am 27. und 28. Februar 1986 ins Leben gerufen. In folgendem Text, veröffentlicht in den Carnets diplomatiques, dem Blog des französischen Außenministeriums, beschreibt Isabel Hénin ihre Erfahrungen als Austauschbeamtin am Quai d’Orsay.
Isabel Hénin, Austauschdiplomatin in Paris, berichtet
Es ist mein dritter Tag als deutsche Austauschdiplomatin im Pariser Außenministerium Quai d’Orsay. Schon werde ich auf Dienstreise nach Wien geschickt und höre mich vor einer internationalen Zuhörerschaft sagen: „Frankreich unterstützt die deutsche Initiative…“
Was ist passiert? Wie bin ich, eine deutsche Diplomatin, als Teil einer französischen Delegation zu einer internationalen Konferenz gelangt?
Ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit: Vor 29 Jahren, 1986, rufen der deutsche und der französische Außenminister, Hans-Dietrich Genscher und Roland Dumas, ein Austauschprogramm zwischen den Diplomaten beider Länder ins Leben, mit dem Ziel, die deutsch-französische Zusammenarbeit bis hin zur täglichen diplomatischen Arbeit zu intensivieren. Eine vorausschauende Initiative und ein starkes Symbol für das gegenseitige Vertrauen, das beide Länder verbindet. Seither arbeiten in den verschiedenen Partnerministerien Austauschdiplomaten und andere Austauschbeamte, die voll in den Arbeitsablauf integriert sind und am Prozess der politischen Orientierung teilhaben.
Kommen wir also zurück auf meinen dritten Tag im „Département“, wie das Außenministerium in Paris genannt wird. Nach meinem Vortrag in Wien befragen mich andere Diplomaten zur Haltung Frankreichs und wundern sich über den nicht vorhandenen französischen Akzent, wenn ich Englisch, ja sogar Deutsch spreche. Meine Erklärung dafür – nach drei Tagen Erfahrung an dieser Stelle – ruft unterschiedliche Reaktionen hervor. Manche sind überrascht, für sie ist es undenkbar, dass ein Diplomat aus einem anderen Land in ihrem Namen spricht. Andere nicken wissend: „Ach ja, klar, das deutsch-französische Paar! Und wie geht’s Frau Merkel?“
Nach mehr als drei Monaten im Quai d’Orsay kann ich Ihnen versichern, dass die Praxis der Theorie in nichts nachsteht. Herzlich aufgenommen und voll integriert in die Abteilung Vereinte Nationen bewege ich mich nicht nur in den Gängen des Quai d’Orsay sicherer (bemüht, meine Anweisungen für New York oder Wien absegnen zu lassen), sondern auch in der komplexen Welt der Vereinten Nationen, der PPs und OPs, und eigne mir sogar das Fachchinesisch an: „Unter der Kontrolle von xy gilt es, im Vorfeld der Verhandlungen über die Resolution yz, bei den Mitgliedern des Sicherheitsrates vorzusprechen, um ihre Unterstützung in den Punkten xyz zu erhalten…“.
Natürlich komme ich nicht umhin, die Haltungen der beiden Länder, die Art zu verhandeln und die Organisation der täglichen Arbeitsabläufe miteinander zu vergleichen. Natürlich wundere ich mich immer noch über gewisse Dinge (vom Schwalbenschwanz der Bediensteten im Wohnsitz des Ministers über die Flexibilität einer fixen Deadline bis hin zur Schlange vor dem Büro des Abteilungsleiters, um Berichte absegnen zu lassen). Andere Dinge beruhigen mich hingegen, denn neben den großen Unterschieden gibt es auch viele Gemeinsamkeiten.
Meine Kollegen, Freunde, meine Familie stellen mir Fragen und möchten gerne wissen, ob es Ähnlichkeiten mit dem Film „Quai d’Orsay“ gibt, der im Auswärtigen Amt schon zum Mythos geworden ist. Ich muss zugeben, da steckt ein Körnchen Wahrheit drin…
Letzte Änderung 06/03/2015