Fahrplan der Einflussdiplomatie
Jean-Yves Le Drian präsentiert den Fahrplan der französischen Einflussdiplomatie (14. Dezember 2021)
Vorwort zum Fahrplan der französischen Einflussdiplomatie, von Jean-Yves Le Drian, Minister für Europa und auswärtige Angelegenheiten.
„In einer Welt des exzessiven Wettbewerbs, wo eine Grenze zu verwischen droht, die bis vor kurzem die Softpower von den traditionellen Ausdrucksformen der Macht trennte, mussten der Sinn und Zweck und die Instrumente unserer Kultur- und Einflussdiplomatie dringend neu überdacht werden.
Es ist offensichtlich, dass unser Land über beträchtliche Erfahrung und herausragende Vorzüge in diesem Bereich verfügt. Doch der Eifer, um nicht zu sagen die Aggressivität, die unsere Wettbewerber an den Tag legen, erinnert uns daran, dass nichts als gesichert gelten sollte. Vor allem war es an der Zeit, den rein strategischen Charakter der neuen Kämpfe um Einfluss anzuerkennen. Vor dem Hintergrund unserer diplomatischen und wirtschaftlichen Interessen stellen diese Kämpfe heute unsere Fähigkeit in Frage, das französische und europäische Modell am Leben zu erhalten und ihm eine Rolle im Aufbauwerk des neuen Humanismus zuzuweisen, den das 21. Jh. braucht; ein Humanismus, der zugleich mit den technologischen, ökologischen und geopolitischen Umwälzungen im Einklang steht, die uns heute erfassen, und seinem historischen Fundament treu bleibt: der universellen Forderung nach dem Respekt des Menschen, seiner Würde und seiner Rechte. Denn es sind jene, die die Verrohung der Welt vorantreiben, indem sie so tun, als wäre jede Unmenschlichkeit erlaubt, die uns auch glauben machen wollen, dass alles gleichwertig sei. Ihnen gegenüber müssen wir deshalb auch in Bezug auf unsere Werte und Ideen allerorts zu diesem Kräfteverhältnis zu stehen, um das zu verteidigen, was uns am teuersten ist.
Deshalb haben wir uns seit 2017 im Auftrag des französischen Staatspräsidenten bemüht, die akademischen Spitzenleistungen Frankreichs der afrikanischen Jugend stärker zugänglich zu machen durch die Einrichtung des französisch-senegalesischen Universitätscampus und des regionalen Bildungshubs Frankreich-Côte d’Ivoire, eine Ausfuhrbranche unserer Kultur- und Kreativwirtschaft zu strukturieren, unser Programmgesetzes über solidarische Entwicklung wiederzubeleben, die ersten Rückerstattungen afrikanischer Kulturgüter umzusetzen, unsere französischen Lycées im Ausland auf dem Höhepunkt der Covid-19-Krise zu unterstützen, aber auch die kulturelle Präsenz Frankreichs in den Vereinigten Staaten mit der Einrichtung einer neuartigen „französischen Villa“ neu zu definieren, die ganz Amerika offen steht: die Villa Albertina. Unser Ministerium und sein Kultur- und Einflussnetzwerk können stolz auf diese schönen Erfolge sein, die unsere Entschlossenheit gezeigt haben, im Rennen zu bleiben.
Dennoch wollte ich, dass wir noch weiter gehen und uns dabei die Mittel an die Hand geben, die französische Einflussdiplomatie von morgen auf den Weg zu bringen. Das ist Aufgabe dieses Fahrplans, dem Ergebnis gemeinsamer Überlegungen, die ab Ende 2019 am Quai d’Orsay angestellt wurden und im Zuge der Turbulenzen der vergangenen Monate einer eingehenden Überprüfung unterzogen wurden. Mein Dank gilt all jenen, die dazu beigetragen haben.
Ich ergreife diese Gelegenheit, um das große Engagement zahlreicher Parlamentarier zu betonen, die seit Beginn der Amtszeit des Präsidenten überaus strukturgebende Vorschläge formuliert und dadurch die Arbeit des Ministeriums für Europa und auswärtige Angelegenheiten zu den Herausforderungen der Einflussdiplomatie bereichert haben.
Auf der Basis einer Analyse verschiedener Ausdrucksformen des Einflusses auf internationaler Ebene, einer Bestandsaufnahme unserer eigenen Einflussmöglichkeiten und der Lehren aus der Coronakrise stellt das vorliegende Dokument einen Fahrplan für die kommenden Jahre dar. Es listet in zehn Leitlinien die Anpassungen auf, die wir vornehmen müssen, um mit den führenden Playern Schritt zu halten und unsere Position zu verbessern. Es setzt sechs strategische Schwerpunkte für unser Netzwerk. Es bietet konkrete Ansätze, um die Einflussnahme ins Zentrum der Organisation unseres Ministeriums und der diplomatischen Laufbahnen zu stellen. Mit einem Wort, es handelt sich hier um das erste konsolidierte Regelwerk, das wir uns in Bezug auf die Einflussnahme zulegen.
Doch das ändert nichts daran, dass der Horizont unserer Außenpolitik, ob in diesen oder in anderen Belangen, grundsätzlich ein europäischer ist. Deshalb erscheint dieser Fahrplan kurz vor Beginn der französischen EU-Ratspräsidentschaft des ersten Halbjahres 2022. Denn aufgrund dieses Modells, dass uns verbindet, wollen wir als Europäer unseren Partnern im Mittelmeerraum, in Afrika, im Indopazifik und auf allen Kontinenten die Hand reichen, um mit ihnen gemeinsam eine Globalisierung mit menschlichem Antlitz zu gestalten.“