Der Kampf gegen Straflosigkeit - eine Bedingung für den Frieden in Syrien
Im Laufe der vergangenen zehn Jahre wurden sowohl die Menschenrechte als auch das humanitäre Völkerrecht der syrischen Bevölkerung in großem Maße verletzt. Bei zahlreichen dieser Verletzungen handelte es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Für den Großteil dieser Gräueltaten tragen das syrische Regime und Daesch die Verantwortung.
Frankreich setzt sich dafür ein, dass die in Syrien begangenen Verbrechen nicht ungestraft bleiben. Dies geschieht aus Gewissensgründen und aus Respekt vor den zahlreichen Gewaltopfern. Es geht dabei ebenfalls um Gerechtigkeit und Verantwortung für den gesellschaftlichen und politischen Wiederaufbau des Landes.
Frankreich unterstützt die verschiedenen Gremien, die eingerichtet wurden, damit alle Verantwortlichen für internationale Verbrechen und Völkerrechtsverstöße in Syrien vor Gericht gestellt werden, einschließlich der Mitglieder von Daesch.
Wir werden nicht schweigen angesichts der Gräueltaten, die sich in Syrien ereignet haben und für die das Regime und diejenigen, die es von außen unterstützen, die Hauptverantwortung tragen. Bei vielen dieser Verbrechen, auch derer, die vom sogenannten Islamischen Staat und anderen bewaffneten Gruppen begangen wurden, handelt es sich mutmaßlich um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es liegt in unser aller Verantwortung, die Straflosigkeit zu bekämpfen und die Verantwortlichen für die in Syrien begangenen Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen – egal, wer sie sind.
Gemeinsamer Beitrag von 18 europäischen Außenministern, April 2021
Die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission
Die Aufgabe dieser bisweilen in Anlehnung an ihren Vorsitzenden Paulo Sergio Pinheiro „Pinheiro-Kommission“ genannten internationalen Untersuchungskommission besteht darin, die in Syrien begangenen Verbrechen zu dokumentieren, unabhängig davon, wer die Verantwortlichen sind. Die Kommission wurde im August 2011 durch eine Resolution des Menschenrechtsrats ins Leben gerufen und wird seitdem jedes Jahr fortgeführt.
Angesichts der Verweigerung des syrischen Regimes, der Kommission Zugang zu seinem Staatsgebiet zu gewähren, muss diese ihre Untersuchungen und Unterredungen mit den Opfern außerhalb Syriens, hauptsächlich von den angrenzenden Ländern aus, durchführen. Ihre regelmäßigen Berichte decken sämtliche in Syrien begangenen Verstöße und Verbrechen ab. Sie enthalten Angaben zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Syrien.
Der Internationale, Unparteiische und Unabhängige Mechanismus (IIIM)
Der „internationale, unparteiische und unabhängige Mechanismus zur Unterstützung der Ermittlungen gegen die Verantwortlichen für die seit März 2011 in der Arabischen Republik Syrien begangenen schwersten völkerrechtlichen Verbrechen und ihrer strafrechtlichen Verfolgung“, wie er mit vollem Namen heißt, wurde 2016 durch eine von Frankreich miteingebrachte Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA) geschaffen.
Der Mechanismus soll die Beweise für die schwersten Völkerrechtsverstöße zusammentragen. Diese Beweise werden im Hinblick auf ihre Verwendung in nationalen, regionalen oder internationalen Gerichtsverfahren gesammelt. Gemäß der Resolution geht es darum, „Beweise für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und für Menschenrechtsverletzungen und -übergriffe zu sammeln, zusammenzuführen, zu sichern und zu analysieren“. Ohne Zugang zum syrischen Staatsgebiet – da das Regime die Zusammenarbeit verweigert – basiert die Arbeit des IIIM ausschließlich auf von oder in Drittländern erhaltenen Beweisen, die hauptsächlich von ihren Justizbehörden geliefert werden. Der Mechanismus arbeitet außerdem eng mit einem Netz syrischer NGO zusammen, die vor Ort Beweise sammeln und für die Akten relevante Informationen an ihn weiterleiten. Der IIIM konnte bisher fast eine Million Beweise sammeln.
Das Mandat des durch eine VN-Resolution geschaffenen IIIM geht über jenes der vom Menschenrechtsrat eingerichteten „Pinheiro-Kommission“ hinaus. Er ermittelt nicht nur Fakten und deren Verantwortlichen, sondern sammelt, sortiert und analysiert Beweise, die die Erstellung von Akten für zukünftige Gerichtsverfahren ermöglichen. Der IIIM erleichtert diese Verfahren, indem er mit Justizbehörden (vorerst mit nationalen Justizbehörden, die die universelle oder nahezu universelle Gerichtsbarkeit für schwere Verbrechen innehaben) Beweise austauscht. Bis zum 13. Mai 2020 waren 61 Anträge aus Gerichten von 11 Staaten eingegangen.
Die Arbeit der französischen Gerichtsbarkeiten
Die nationalen Gerichtsbarkeiten tragen ebenfalls zum Kampf gegen Straflosigkeit bei, insbesondere dadurch, dass sie über eine nahezu universelle Zuständigkeit für die schwersten internationalen Verbrechen verfügen. Seit 2012 hat sich Frankreich die Mittel an die Hand gegeben, um die Verantwortlichen für diese Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen, indem es innerhalb des ordentlichen Gerichts in Paris eine Fachabteilung eingerichtet hat, die für die Bekämpfung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen und -delikten zuständig ist. Diese Abteilung ist heute Bestandteil einer Fachgerichtsbarkeit, und zwar der nationalen Anti-Terror-Gerichtsbarkeit. Diese befasst sich aktuell mit mehreren Akten über Verbrechen in Syrien.
Im September 2015 hat der Außenminister dem leitenden Oberstaatsanwalt in Paris eine Akte vorgelegt, was es diesem ermöglicht hat, eine Voruntersuchung wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gegen das syrische Regime einzuleiten. Diese Untersuchung stützt sich insbesondere auf zehntausende Fotos von Leichnamen, die vom ehemaligen syrischen Militärfotograf „César“ zwischen 2011 und 2013 in Militärkrankenhäusern aufgenommen wurden. Ausgehend davon wurden mehrere Gerichtsverfahren eingeleitet, die aktuell laufen.
Zum Artikel über den „César-Bericht“.
In Deutschland befassen sich die Gerichte ebenfalls mit diesem prioritären Anliegen. So verurteilte das Landesgericht Koblenz im Februar 2021 ein ehemaliges Mitglied des syrischen Geheimdienstes wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren. Es handelte sich dabei um das erste Urteil dieser Art.
Der Kampf gegen die Straflosigkeit beim Einsatz von Chemiewaffen
Eine der tragischsten Facetten des Kriegs in Syrien ist der wiederholte Einsatz chemischer Waffen seit 2012. In der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle werden sie vom Regime gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt. Dank verschiedener aufeinanderfolgender internationaler Mechanismen konnten der tatsächliche Einsatz dieser verbotenen Waffen nachgewiesen und Verantwortliche ermittelt werden.
Neben seinen Maßnahmen zur Unterstützung der verschiedenen internationalen Mechanismen tritt Frankreich für die Mobilisierung des VN-Sicherheitsrats angesichts des Einsatzes von chemischen Waffen in Syrien ein.
Frankreichs Handeln an der Seite der OVCW
Am 8. April 2020 hat das Investigation and Identification Team (IIT) der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) anhand einer unabhängigen, unparteiischen, tragfähigen und gründlichen Untersuchung ermittelt, dass Einheiten der Luftstreitkräfte des syrischen Regimes für die Chemiewaffenangriffe auf Latamneh am 24., 25. und 30. März 2017 verantwortlich waren. Diese Untersuchungen waren erschwert worden durch die systematische Verweigerung des syrischen Regimes, Informationen zur Verfügung zu stellen und den Mitgliedern des Investigationsteams Zugang zu seinem Staatsgebiet zu gewähren.
Im Juli 2020 verabschiedete der Exekutivrats der OVCW in Reaktion auf die Schlussfolgerungen des IIT-Berichts eine Entscheidung, die darauf abzielt, dem Besitz und dem Einsatz chemischer Waffen durch die Arabische Republik Syrien entgegenzutreten. Den Text hatte Frankreich im Namen von 40 Delegationen eingebracht. In dieser Entscheidung wird das syrische Regime dazu aufgefordert, seinen Verpflichtungen aus dem Übereinkommen über das Verbot chemischer Waffen (CWÜ) nachzukommen. Dennoch hat das syrische Regime, wie es der Generaldirektor der OVCW in seinem im Oktober 2020 veröffentlichten Bericht über die Umsetzung dieser Entscheidung bestätigte, keinerlei Reaktion gezeigt. Die 25. Konferenz der CWÜ-Vertragsstaaten hat sich auf dieser Grundlage entschieden.
Am 12. April 2021 veröffentlichte das IIT seinen zweiten Bericht. Dieser ist das Ergebnis unabhängiger und unparteiischer Arbeiten und identifiziert die Verantwortlichen für die Chemiewaffeneinsätze bei einem Angriff auf die syrische Stadt Sarakib am 4. Februar 2018. Diesbezüglich rief der Minister für Europa und auswärtige Angelegenheiten in einer Erklärung in Erinnerung, dass „der Einsatz dieser Waffen durch das syrische Regime, der nun dokumentiert und unwiderlegbar ist, […] unannehmbar [ist]. Wir bekräftigten, dass wir den Einsatz chemischer Waffen an jedem Ort, zu jedem Zeitpunkt, durch jedermann und unter allen Umständen auf das Schärfste verurteilen.”
Am 21. April 2021 verabschiedete die 25. Konferenz der CWÜ-Vertragsstaaten eine Entscheidung, die darauf abzielt, dem Besitz und dem Einsatz chemischer Waffen durch die Arabische Republik Syrien entgegenzutreten. Den Text hatte Frankreich im Namen von 46 Delegationen eingebracht.
Diese Entscheidung der Konferenz, die auf Grundlage der Empfehlungen des Exekutivrats vom Juli 2020 und Artikel XII des Übereinkommens getroffen wurde, setzt das Stimmrecht Syriens aus und hindert das Land daran, sich für einen Sitz im Exekutivrat und in den Nebenorganen der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) zu bewerben. Wenn Syrien diese Rechte zurückerlangen möchte, muss es nunmehr seinen im Rahmen des CWÜ eingegangenen internationalen Verpflichtungen nachkommen.
Bei dieser Gelegenheit unterstrich die Sprecherin des Ministeriums für Europa und auswärtige Angelegenheiten in einer Erklärung, dass „die CWÜ-Vertragsstaaten […] durch die Verabschiedung dieser Entscheidung in Erinnerung gerufen [haben], dass der Einsatz chemischer Waffen, ungeachtet des Ortes, des Zeitraums, der Verantwortlichen und der Umstände, inakzeptabel ist und die wiederholten Verstöße gegen das Übereinkommen nicht unbestraft bleiben dürfen. Es handelt sich dabei um einen ersten Schritt im Kampf gegen die Straflosigkeit.“
Frankreich spielt innerhalb der OVCW eine aktive Rolle und trägt finanziell zu ihren Aktivitäten im Zusammenhang mit Syrien bei. Für 2021 kündigte der ständige Vertreter Frankreichs bei der Organisation einen erneuten freiwilligen Beitrag in Höhe von einer Million Euro zum Sonderfonds der OVCW für die Missionen in Syrien an. Diese Ankündigung erfolgte anlässlich der 96. Sitzung des Exekutivrats der OVCW im März 2021 und hob den Gesamtbetrag der freiwilligen Beiträge Frankreichs seit 2016 für die Aktivitäten der OVCW in Syrien auf fast 2,5 Mio. Euro an.
Die Internationale Partnerschaft gegen Straflosigkeit beim Einsatz von Chemiewaffen
Im Januar 2018 startete Frankreich die Internationale Partnerschaft gegen die Straflosigkeit beim Einsatz von Chemiewaffen. Diese Partnerschaft ist das Ergebnis einer zwischenstaatlichen Initiative von 40 Staaten und der EU. Die Partnerschaft engagiert sich weltweit im Kampf gegen Straflosigkeit beim Einsatz von Chemiewaffen. Im Rahmen dieses Kooperationsforums sind die teilnehmenden Staaten weitreichende Verpflichtungen zur Sammlung und zum Austausch von Beweisen im Hinblick auf Gerichtsverfahren eingegangen. So soll die Zusammenarbeit zwischen den Staaten und den internationalen Mechanismen (wie z. B. dem IIIM) gefördert und die Namen der bestraften Personen bzw. Einheiten öffentlich gemacht werden.
2019 identifizierte die Partnerschaft die universelle Zuständigkeit und die administrativen Sanktionen als hauptsächliche Rechtsmittel zur Bekämpfung von Straflosigkeit beim Einsatz von Chemiewaffen. Diese Rechtsinstrumente wurden in einem Grundsatzpapier zusammenfassend vorgestellt, das auf der Website der Partnerschaft veröffentlicht wurde, um den freiwilligen Staaten dabei zu helfen, diese Instrumente anzuwenden. Am 24. April 2020 veröffentlichte die Partnerschaft außerdem als Antwort auf die im ersten IIT-Bericht dargelegten Schlussfolgerungen eine Erklärung.
Mehr zur Partnerschaft gegen die Straflosigkeit beim Einsatz von Chemiewaffen
Syrien ist dem Römischen Statut zum Internationalen Strafgerichtshof nicht beigetreten. Folglich könnte lediglich eine Anrufung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dem Internationalen Strafgerichtshof Zuständigkeit für die in Syrien begangenen Verbrechen übertragen. Frankreich hatte 2014 im Sicherheitsrat eine Resolution zu Syrien eingebracht, mit dem Ziel, den Gerichtshof mit der Lage in Syrien zu befassen. Diese wurde jedoch nicht verabschiedet.
Stand: April 2021