Fünf Schlüsselelemente zum Verständnis der Folgen des britischen EU-Referendums

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Die Verhandlungen über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU begannen am 19. Juni 2017, nachdem die britische Premierministerin Theresa May nach Artikel 50 des Vertrags über die Europäischen Union und in Fortführung der beim Referendum vom 23. Juni 2016 vom britischen Volk getroffenen Entscheidung dem Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, die Absicht des Vereinigten Königreichs aus der Europäische Union auszutreten, in einem Brief mitgeteilt hatte.

1) Welche Folgen haben die europäischen und britischen Bürger bereits zu spüren bekommen?

Bis zum tatsächlichen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (sprich spätestens bis zum 30. März 2019, außer bei einer einstimmig durch den Europäischen Rat bestimmten Verlängerung der Verhandlungsphase) und gemäß den von dem Land ratifizierten Verträgen gilt das Recht der Europäischen Union weiterhin in vollem Umfang.

Hat das Votum Folgen für die Mobilität französischer Staatsbürger im Vereinigten Königreich?

Wie es aus den Reisehinweisen hervorgeht, bringen das Ergebnis des Referendums vom 23. Juni sowie die Aktivierung von Artikel 50 bis zum tatsächlichen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU keine Veränderungen hinsichtlich der derzeitigen Voraussetzungen (gültiger Reisepass oder Personalausweis) für die Einreise oder den Aufenthalt im Vereinigten Königreich für französische Staatsangehörige mit sich.

Sind eventuelle medizinische Behandlungen bei Aufenthalten französischer Staatsangehöriger im Vereinigten Königreich oder umgekehrt in Frankreich von dieser Entscheidung betroffen?

Nein. Bis zum tatsächlichen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU haben französische Staatsangehörige, die im Vereinigten Königreich ansässig sind, oder umgekehrt in Frankreich ansässige britische Staatsangehörige weiterhin gleichermaßen Zugang zu medizinischer Behandlung. Ebenso können die Kosten für medizinische Behandlung dank der Europäischen Krankenversicherungskarte bei Reisen in das jeweils andere Land für Franzosen und Briten weiterhin übernommen werden.

Welche Auswirkungen gibt es für britische und französische Studierende?

Bis zum Zeitpunkt des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU gibt es auch keine Folgen für britische Studierende, die an einer französischen Hochschule oder Forschungseinrichtung eingeschrieben sind bzw. für französische Studierende in britischen Einrichtungen. Die gegenseitige Anerkennung von Studienabschlüssen ist außerdem Teil des durch den Bologna-Prozess initiierten Europäischen Hochschulraums: Sofern das Vereinigte Königreich seine Beteiligung an diesem Raum, der über die EU hinausreicht und insgesamt 46 Länder umfasst, nicht infrage stellt, hat sein Austritt aus der EU keinerlei Einfluss auf die in diesem Rahmen festgelegten Regeln.

2) Welches Verfahren ist in den Verträgen vorgesehen, durch das der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union rechtsgültig wird?

Seit dem Vertrag von Lissabon ermöglicht der Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union einem Staat, sich einseitig dafür zu entscheiden, die EU zu verlassen.

Dabei gilt folgendes Verfahren:

Der Mitgliedstaat muss dem Europäischen Rat seine Austrittsabsicht mitteilen. Dementsprechend teilte die britische Premierministerin Theresa May dem Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, am 29. März 2017 die Absicht des Vereinigten Königreichs aus der EU auszutreten in einem Brief mit.
• Infolge dieser Mitteilung nahmen die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten bei einer Sondertagung des Europäischen Rates am 29. April 2017 Leitlinien an, welche die Verhandlungsgrundsätze der Europäischen Union festlegen.

Auf dieser Grundlage nahm der Rat der EU anschließend am 22. Mai einen Beschluss über die Ermächtigung zur Aufnahme der Verhandlungen an, legte Verhandlungsrichtlinien fest und benannte die Europäische Kommission als EU-Verhandlungsführer.

Die Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich wurden am 19. Juni 2017 eingeleitet. Nach Artikel 50 EUV soll ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts ausgehandelt und geschlossen werden.
• Damit sämtliche Institutionen der Europäischen Union ihre Rolle voll und ganz wahrnehmen können, wurden besondere Bestimmungen erlassen. Diesbezüglich ist insbesondere vorgesehen, dass der Chefunterhändler der Union (Michel Barnier) systematisch dem Europäischen Rat, dem Rat und seinen Vorbereitungsgremien Bericht erstattet. Das Europäische Parlament wird regelmäßig und gründlich über die Verhandlungen unterrichtet.
Das Austrittsabkommen muss im Namen der EU durch den Rat der Europäischen Union, der mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments beschließt, geschlossen werden.

Vermerk: Gemäß Artikel 50 EUV können die Vertreter des austretenden Mitgliedstaates nicht an den internen Verhandlungen des Rates über das Austrittsabkommen teilnehmen.

Sollte innerhalb von zwei Jahren (sprich bis zum 29. März um 24 Uhr) kein Abkommen zustande kommen, finden die Verträge auf das Vereinigte Königreich keine Anwendung mehr, außer wenn durch den Europäischen Rat eine Fristverlängerung gewährt wird (durch einstimmigen Beschluss und im Einvernehmen mit den britischen Behörden).

Artikel 50 schreibt im Übrigen vor, dass für den Fall, dass ein Staat, der von seinem Austrittsrecht Gebrauch gemacht hat, erneut Mitglied werden möchte, dessen Antrag dem generellen Beitrittsverfahren und nicht einem erleichterten Verfahren unterliegt.

• Da während der ersten Verhandlungsphase, bei der die prioritären Austrittsthemen behandelt wurden, festgestellt wurde, dass die Verhandlungen weit genug gediehen sind, gab der Europäischen Rat am 15. Dezember 2017grünes Licht für die Eröffnung der Verhandlungen über den Rahmen der zukünftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union. Die Austrittsverhandlungen werden unter Berücksichtigung „[des Rahmens] für die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Union“ geführt. Die Europäische Union und das Vereinigte Königreich müssen demnach ein allgemeines Einvernehmen über den Rahmen der künftigen Beziehungen erzielen, welches in einer politischen Erklärung zum Austrittsabkommen angegebenen wird. Die zukünftigen Bestimmungen über diese Beziehungen sind dennoch in einer anderen Übereinkunft geregelt und gründen sich auf Verträge über internationale Übereinkünfte, die die Union mit Drittländern schließen kann (Art. 216 AEUV ff.).

3) Wie lauten die wichtigsten Positionen, die Frankreich in Hinblick auf die Verhandlungen vertritt?

Der französische Standpunkt stimmt mit den vom Europäischen Rat am 29. April in seinen Leitlinien und vom Rat am 22. Mai in seinen Verhandlungsrichtlinien geäußerten Positionen überein. (Siehe auch die Mitteilung des Ministerrats vom 30. März 2017, in französischer Sprache).

Auf nationaler Ebene hat sich die französische Regierung entsprechend vorbereitet. Das Generalsekretariat für europäische Angelegenheiten (Secrétariat général aux affaires européennes, SGAE) hat Arbeiten zur Kartierung der französischen Interessen in Hinblick auf die Austrittsverhandlungen sowie auf den Rahmen der künftigen Beziehungen durchgeführt. Das Ministerium für Europa und auswärtige Angelegenheiten hat seinerseits eine spezielle Task Force eingerichtet, die von der Abteilung Europäische Union gesteuert wird.

4) Wie sieht das europäische Projekt nach dem britischen Referendum aus?

Die größte Herausforderung auf EU-Ebene besteht gegenwärtig darin, der Europäischen Union neue Impulse zu verleihen. Dieser Prozess ist derzeit im Gange. Nach der Annahme des Fahrplans von Bratislava im September 2016, welcher Umsetzungen in mehreren Bereichen ermöglichte, nahmen die Staats-und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten anlässlich des 60. Jubiläums des Römischen Vertrags am 25. März 2017 eine Erklärung an, in der sie die unerschütterliche Einheit der EU-27 bekräftigten und mit der sie dem europäische Projekt den Weg für die zehn kommenden Jahre weisen wollen. In diesem Zusammenhang führten die Überlegungen über die Zukunft der Europäischen Union zu zahlreichen Vorschlägen, die sich in erster Linie aus der Rede des Präsidenten der Europäischen Kommission zur Lage der Union am 13. September, der Rede des französischen Staatspräsidenten an der Universität Sorbonne am 26. September und dem am 17. Oktober 2017 vom Präsidenten des Europäischen Rates vorgestellten Fahrplans ("Leaders’ Agenda“) ergaben.

Für die Neugründung Europas vertritt Frankreich einen ehrgeizigen Standpunkt und wünscht sich, dass sich die EU zur Gewährleistung einer „europäischen Souveränität“ auf klar definierte strategische Prioritäten konzentriert: Sicherheit und Verteidigung, Migrationsfragen, Außenpolitik, ökologischer Wandel, Digitales, Wirtschafts- und Währungsmacht (Stärkung des Euroraums, Stärkung insbesondere der sozialen Rechte). Auch die Behandlung weiterer Themenbereiche, wie Kultur und Wissen (Ausbau der Mehrsprachigkeit, Gründung eines Netzwerks europäischer Hochschulen, gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen weiterführender Schulen) sowie Handelspolitik, ist für die Neugründung Europas notwendig. In all diesen Bereichen konnten in den letzten Jahren sichtbare Fortschritte erzielt werden. Die Union muss dieses Engagement fortsetzen, um zu beweisen, dass sie in der Lage ist, ihre Bürgerinnen und Bürger wirksam zu schützen und auf deren Anliegen und Bestrebungen konkret einzugehen.

Angesichts der Herausforderungen, mit denen die Europäische Union konfrontiert ist, möchte Frankreich auf pragmatische Weise handeln, um konkrete Ergebnisse für seine Mitbürgerinnen und Mitbürger zu erreichen. Der französische Staatspräsident forderte in diesem Zusammenhang ein „Europa, das beschützt“ und generell ein „wirksameres, demokratischeres und politischeres Europa“. In diesem Rahmen möchte er ebenfalls den Bürgerinnen und Bürgern eine Stimme verleihen, und zwar durch die Veranstaltung von „Bürgerkonsultationen“ im Jahr 2018 mit dem Ziel, ihre wichtigsten Anliegen nach oben an die EU weiterzuleiten und die Handlungsprioritäten der kommenden Jahre festzulegen.

5) Welche Folgen hat der EU-Austritt für die Beziehung zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich?

Die Beziehung zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich ist eng und besteht seit langem. Frankreich und das Vereinigte Königreich sind beide ständige Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und teilen oft ähnliche Ansätze innerhalb internationaler Organisationen, insbesondere der UNO.

Die bilateralen Beziehungen der beiden Länder basieren auf regelmäßigen Kontakten auf allen Ebenen sowie regelmäßig stattfindenden Gipfeltreffen und berühren sämtliche Bereiche: Terrorismusbekämpfung, Verteidigung, zivile Nutzung von Atomkraft, Wirtschaft, Kultur, Forschung, Raumfahrt, Bildung, Sport…

Werden die Übereinkünfte im Bereich der Verteidigung beibehalten?

Die Übereinkünfte in diesem Bereich bleiben bestehen. Frankreich ist mit dem Vereinigten Königreich durch Kooperationsbeziehungen verbunden, die seit dem 2010 geschlossenen Vertrag von Lancaster House vertieft wurden. Darüber hinaus wurden zahlreiche und konkrete Fortschritte erzielt, beispielsweise durch den Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe (Combined Joint Expeditionary Force / Force Expéditionnaire Conjointe Interarmées). Frankreich wird auch künftig mit den Briten, der einzigen weiteren europäischen Atommacht, unter Einhaltung des Vertrags von Lancaster House zusammenarbeiten.

Werden die britisch-französischen Handelsbeziehungen unter der Entscheidung der britischen Wähler leiden?

Das Vereinigte Königreich ist Frankreichs fünfter Exportmarkt und sein achtwichtigster Lieferant. Frankreich ist für das Vereinigte Königreich der fünftwichtigste Kunde und Lieferant. Diese engen und festen Beziehungen bestehen seit langem und sollen auch weiter andauern.

Nach seinem Austritt aus der Europäischen Union wird das Vereinigte Königreich zu einem Drittland. Die Entwicklung der Handelsbeziehungen wird somit von der Art des Rahmens für die zukünftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union abhängen.

Wie könnte sich dies auf die Attraktivität Frankreichs auswirken?

Die Zielsetzung der Regierung ist Teil von generellen Maßnahmen zur Verbesserung der Attraktivität Frankreichs und seiner Wettbewerbsfähigkeit. Insbesondere kündigte die Regierung am 7. Juli 2017 mehrere Initiativen zur Attraktivitätssteigerung des Finanzplatzes Paris an.

Ziele dieser Initiativen sind:

• eine optimierte finanzpolitische Stabilität und Lesbarkeit;
• eine gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit der hochqualifizierten Berufe im Finanzsektor für eine stärkere Beschäftigung in Frankreich;
• ein bedeutenderer Einfluss von Paris als juristisches Zentrum und unserer juristischen Fachkenntnisse;
• die Bekämpfung der Übererfüllung der europäischen Richtlinien („Goldplating“) und ein langfristiges Engagement zur Bürokratievereinfachung;
• der Ausbau des Angebots an internationalen Schulen in der Region Ile-de-France;
• eine bessere Verbindung zwischen Paris und den wichtigsten Wirtschaftsmetropolen.

Hierfür sind sämtliche Ministerien, die Region Ile-de-France und das Pariser Rathaus zuständig.

Werden große Projekte wie Hinkley Point dennoch ausgeführt?

Ja, die Investitionsvereinbarung, durch die der Bau zweier EPR-Reaktoren in Hinkley Point endgültig eingeleitet wird, wurde im September 2016 unterzeichnet. Mit den Arbeiten wurde bereits begonnen.

Letzter Stand: Januar 2018