Deutschland - Gemeinsame Pressekonferenz von Jean-Yves Le Drian, Minister für Europa und auswärtige Angelegenheiten, und Annalena Baerbock, Bundesministerin des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland - Äußerungen von Jean-Yves Le Drian (Paris, 9. Dezember 2021)

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Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich freue mich sehr, heute meine neue deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock in Paris empfangen zu haben. Ich habe mich bei ihr dafür bedankt, dass sie Frankreich für ihren ersten Antrittsbesuch ausgewählt hat. Dieser erste Besuch ist eine gute Tradition der deutsch-französischen Beziehung und ich freue mich, dass diese nicht nur zugunsten unserer beiden Länder, sondern selbstverständlich auch zugunsten Europas erhalten bleibt.
Wir beide werden uns in den kommenden Tagen mehrmals wiedersehen, morgen beim G7 Treffen in Liverpool und Montag beim Rat für Auswärtige Angelegenheiten in Brüssel. Ich freue mich, mit Annalena jene Vertrauensbeziehung fortzusetzen, die ich bereits mit ihrem Vorgänger Heiko Maas gepflegt habe.

Wie ich es ihr gegenüber zum Ausdruck gebracht habe, gibt es eine Beziehung, wie zwischen den deutschen und französischen Außenministern, kein zweites Mal. Sie ist so etwas wie der Schatz der deutsch-französischen Beziehung im Dienste Europas. Diese Beziehung ist selbstverständlich nicht exklusiv, aber sie ist essentiell, oder gar vital für unsere beiden Völker. Umso mehr, als wir mit der gestrigen Wahl von Olaf Scholz, den der Staatspräsident morgen empfangen wird, gerade eine entscheidende Zeit für Deutschland, Frankreich und Europa erleben.

In diesem ersten Gespräch haben wir natürlich über die Leitlinien des Koalitionsvertrags der deutschen Regierung gesprochen, die weitgehend mit jenen übereinstimmen, für die wir ab dem 1. Januar im Zuge der französischen Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union im Namen der Europäer eintreten werden. Wie Sie wissen, wird der französische Staatspräsident diese heute vorstellen. Ich kann Ihnen schon jetzt sagen, dass wir uns nicht nur darüber freuen, dass wir vor unserer Präsidentschaft eine gut aufgestellte deutsche Regierung haben, sondern wir freuen uns auch über ihre Bereitschaft, mit uns für ein grüneres, sozialeres und souveräneres Europa zu arbeiten, das in die erfolgreiche Verwirklichung seiner Wende und in den besseren Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger investiert. Ein Europa, das seinen Verantwortungen auf der internationalen Bühne in zunehmendem Maße gerecht wird und sich der Brutalisierung der internationalen Beziehungen, die es von Europa noch mehr verlangt, mit fester Entschlossenheit seine Werte und Interessen zu fördern, entgegenstellt.
Auch konnten wir unser gegenseitiges Bekenntnis zum Multilateralismus feststellen. Frankreich und Deutschland haben viel dafür getan, den Multilateralismus während der Trump-Jahre zu bewahren. So haben wir zusammen mit Deutschland 2019 die Allianz für den Multilateralismus ins Leben gerufen, die bereits ein Dutzend Mal zusammengekommen ist und der mittlerweile über 60 Länder angehören.

Stärker denn je müssen wir den Multilateralismus heute gemeinsam auf zwei Arten vorantreiben: indem wir die Übereinkünfte schützen, die zur Stabilität der internationalen Ordnung beitragen, aber infrage gestellt werden könnten. Das steht bei den laufenden Verhandlungen mit Iran auf dem Spiel. Wir beide sind äußerst besorgt über die aktuellen negativen Entwicklungen und werden keine Mühen scheuen, um den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag zu wahren und zu stärken. Und ebenfalls, indem wir gemeinschaftlich mit der Unterstützung der Europäischen Union und der Vereinten Nationen vorgehen, wenn wir vor Ort etwas bewegen können. Das ist der Fall in Afrika, wo die Europäer in der Sahelzone im Einsatz sind, um den Terrorismus zu bekämpfen und die politischen Prozesse zur schrittweisen Verringerung der ihn begünstigenden Voraussetzungen begleiten. Deutschland kommt im Rahmen der Koalition für den Sahel bei den Missionen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union selbstverständlich eine entscheidende Rolle zu – darüber haben wir ausgiebig diskutiert.

Schließlich haben wir über die Situation in der Ukraine gesprochen, vor dem Hintergrund der militärischen Mobilisierung Russlands an ihren Grenzen. Ziel der Bestrebungen muss eine Deeskalation sein, und wir begrüßen in diesem Zusammenhang das Gespräch zwischen dem russischen und dem amerikanischen Präsidenten. Diese Deeskalation muss jedoch ohne Naivität und im ständigen Streben nach europäischer Einheit verfolgt werden, da unsere Spaltung selbst zu Instabilität an unseren Grenzen führen würde. Wir haben lange über diese Frage und unser gemeinsames Vorgehen innerhalb des Normandie-Formats gesprochen. Und ich denke, dass wir bei all diesen Themen, die selbstverständlich auch morgen vom Staatspräsidenten und dem Bundeskanzler erörtert werden, auf einen Nenner gekommen sind.