Rede des Präsidenten der Französischen Republik bei der nationalen Gedenkfeier für Samuel Paty (21/10/20)

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La Sorbonne, den 21. Oktober 2020

Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute Abend werde ich nicht über den Kampf gegen den politischen, radikalen Islamismus sprechen, der bis hin zu Terrorismus führt. Darüber habe ich bereits gesprochen. Ich habe das Böse bereits beim Namen genannt. Wir haben Aktionen beschlossen, verschärft und führen sie bis ans Ende.

Heute Abend werde ich nicht über das Gefolge der Terroristen, ihre Komplizen und all die Feiglinge sprechen, die diesen Anschlag begangen und ermöglicht haben. Ich werde nicht über jene sprechen, die seinen Namen an Barbaren ausgeliefert haben. Sie verdienen es nicht. Namen haben sie überhaupt keine mehr. Heute Abend werde ich nicht weiter über die unerlässliche Einheit sprechen, die alle Französinnen und Franzosen verspüren. Sie ist wertvoll und verpflichtet alle Verantwortungsträger dazu, den richtigen Ton zu treffen und anspruchsvoll zu handeln. Nein.

Heute Abend möchte ich über Ihren Sohn sprechen, über Ihren Bruder, Ihren Onkel, über jenen, den Sie geliebt haben, über Deinen Vater. Heute Abend möchte ich über Ihren Kollegen sprechen, über Ihren Lehrer, der gestorben ist, weil er sich für das Unterrichten entschieden hatte, der ermordet wurde, weil er seinen Schülerinnen und Schülern das Bürgersein lehren wollte. Pflichten lehren, um sie zu erfüllen. Freiheiten lehren, um sie wahrzunehmen. Heute Abend möchte ich über Samuel PATY sprechen.

Samuel PATY liebte Bücher und Wissen mehr als alles andere. Seine Wohnung war eine Bibliothek. Seine schönsten Geschenke: Bücher, um zu lernen. Er liebte Bücher, um seinen Schülern sowie seinen Angehörigen seine Leidenschaft für Wissen, den Geschmack der Freiheit zu übermitteln. Nachdem er in Lyon Geschichte studiert und in Erwägung gezogen hatte, Forscher zu werden, schlug er den Weg ein, den Sie, seine Eltern, Lehrer und Schulleiter in Moulins, geebnet hatten, und wurde „Pädagogikforscher“, wie er sich gerne definierte. Er wurde Lehrer. Deshalb hätten wir als Nation keinen besseren Ort als die Sorbonne-Universität finden können – seit über acht Jahrhunderten unser Ort des universellen Wissens, der Ort des Humanismus – um seiner zu gedenken.

Samuel PATY liebte das Unterrichten leidenschaftlich und tat dies so gut in mehreren Collèges und Lycées, zuletzt in Conflans-Saint-Honorine. Wir alle haben die Erinnerung an einen Lehrer, der den Lauf unserer Existenz verändert hat, in unseren Herzen, in unseren Gedächtnissen verankert. Sie wissen: Dieser Lehrer, der uns beigebracht hat, zu lesen, zu zählen, uns zu vertrauen. Dieser Lehrer, der uns nicht nur Wissen übermittelt hat, sondern uns durch ein Buch, einen Blick oder seine Wertschätzung einen Weg eröffnet hat.

Samuel PATY gehörte zu diesen Lehrern, die man nie vergisst, zu diesen leidenschaftlichen, die Nächte damit verbringen können, in die Geschichte der Religionen einzutauchen, um ihre Schülerinnen und Schüler und ihren Glauben besser zu verstehen. Zu diesen bescheidenen, die sich tausend Mal infrage stellen, wie für diese Stunde über Meinungs- und Gewissensfreiheit, die er seit Juli vorbereitete, den letzten Sommer in Moulins an Ihrer Seite, und die Zweifel, die er aus Anspruch, aus Vorsicht teilte.

Samuel PATY verkörperte im Grunde den Lehrer, von dem JAURÈS in seinem soeben vorgetragenen Brief an die Lehrer träumte: „Strenge vereint mit Einfühlungsvermögen“. Jener, der die Größe des Denkens demonstriert, Respekt lehrt und aufzeigt, was Zivilisation bedeutet.
Jener, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, „Republikaner zu erziehen“.

Wie ein Echo schallen also die Worte von Ferdinand BUISSON wieder: „Um jemanden zu einem Republikaner zu erziehen“, schrieb er, „muss dem Menschen, so klein und ehrfürchtig er auch sein mag […], die Idee vermittelt werden, selbst zu denken, dass er niemandem weder Glauben noch Gehorsam schuldig ist, dass er selbst die Wahrheit suchen muss und sie nicht vorgefasst von egal welchem Meister, Direktor oder Vorgesetzten übernehmen muss“. „Republikaner erziehen“: Das war der Kampf von Samuel PATY.

Und auch wenn diese Aufgabe heute gigantisch erscheinen mag, insbesondere da, wo Gewalt, Einschüchterung und manchmal Resignation die Oberhand gewinnen, ist sie essentieller, aktueller denn je zuvor. Hier in Frankreich lieben wir unsere Nation, ihre Geographie, ihre Landschaft und ihre Geschichte, ihre Kultur und ihre Verwandlungen, ihren Geist und ihr Herz. Und wir wollen sie all unseren Kindern lehren.

Hier in Frankreich lieben wir das bodenständige und zugleich universelle Vorhaben, für das die Republik steht, mit seiner Ordnung und seinen Versprechen. Das Vorhaben, jeden Tag von neuem zu beginnen. Und ja, in jeder Grundschule, in jedem Collège, in jedem Lycée werden wir den Lehrerinnen und Lehrern wieder die Kraft geben, „Republikaner zu erziehen“, und ihnen die Stellung und Autorität einräumen, die ihnen zustehen. Wir werden sie ausbilden, ihnen angemessene Beachtung schenken, sie unterstützen und, wann immer nötig, beschützen. Manch einer möchte die Ausübung von Zwang sowie den Missbrauch von Ignoranz und Gehorsam bei uns salonfähig machen, doch all das hat hier weder in noch außerhalb der Schule seinen Platz. „Ich möchte, dass mein Leben und mein Tod etwas bewirken“, hatte er mal gesagt. Als hätte er es vorhergesehen.

Warum also wurde Samuel getötet? Warum? Am Freitagabend habe ich zunächst an wahllosen Wahnsinn, an absurde Willkür geglaubt: ein weiteres Opfer des sinnlosen Terrors. Schließlich war er nicht das Hauptziel der Islamisten, er unterrichtete ja nur. Er war kein Feind der Religion, der sie sich bedienen. Er hatte den Koran gelesen, respektierte seine Schülerinnen und Schüler, egal welchen Glaubens sie waren, und interessierte sich für die muslimische Zivilisation.

Nein, ganz im Gegenteil, Samuel PATY wurde genau deswegen getötet. Weil er die Republik verkörperte, die jeden Tag in den Klassenzimmern wieder auflebt, und die Freiheit, die in der Schule vermittelt wird und fortbesteht.

Samuel PATY wurde getötet, weil die Islamisten es auf unsere Zukunft abgesehen haben und wissen, dass sie sie nie bekommen werden, solange es stille Helden wie ihn gibt. Sie unterscheiden zwischen Getreuen und Ungläubigen.

Samuel PATY kannte nur Bürgerinnen und Bürger. Die Islamisten nähren sich von Ignoranz. Er glaubte an das Wissen. Sie züchten den Hass auf andere. Er wollte stets das Gesicht der anderen sehen und die Reichtümer des Andersseins entdecken.

Samuel PATY war das Opfer der unheilvollen Verschwörung von Dummheit, Lüge, Vorverurteilung sowie Hass auf andere und auf das, was uns grundlegend und existenziell ausmacht.

Samuel PATY wurde am Freitag zum Gesicht der Republik, zum Gesicht unseres Willens, die Terroristen zu brechen, die Islamisten zu vernichten und als Gemeinschaft freier Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu leben. Zum Gesicht unserer Entschlossenheit, zu verstehen, zu lernen, auch weiterhin zu unterrichten und frei zu sein, denn wir werden weitermachen, professeur.

Wir werden die Freiheit verteidigen, die Sie so gut gelehrt haben, und lautstark für den Laizismus eintreten. Wir werden nicht auf Karikaturen und Zeichnungen verzichten, auch wenn andere zurückweichen. Wir werden der Jugend alle Chancen bieten, die die Republik ihnen schuldig ist, ohne jegliche Diskriminierung.

Wir werden weitermachen, professeur. Mit sämtlichen Lehrerinnen und Lehrern Frankreichs, in allen Klassenstufen, werden wir Geschichte lehren, ruhmreiche Momente und Schattenseiten gleichermaßen. Wir werden die Liebe zur Literatur, zur Musik und zu allen Werken vermitteln, die die Seele und den Geist ansprechen. Wir werden aus vollem Herzen zu Debatten, vernünftigen Argumenten und freundlicher Überzeugungskunst anregen. Wir werden uns die Freude an der Wissenschaft und ihren Kontroversen erhalten. So wie Sie werden auch wir Toleranz stiften. So wie Sie werden wir immer wieder versuchen, zu verstehen. Noch mehr von dem zu verstehen, was man von uns fernhalten möchte. Wir werden Humor und Abstand lehren. Wir werden daran erinnern, dass unsere Freiheiten nur überdauern, wenn wir dem Hass und der Gewalt ein Ende setzen und Achtung vor dem anderen zeigen.

Wir werden weitermachen, professeur. Und ihr ganzes Leben lang werden die hunderten jungen Menschen, die Sie unterrichtet haben, diesen kritischen Geist einsetzen, den Sie sie gelehrt haben. Vielleicht werden manche von ihnen ebenfalls einmal Lehrerinnen oder Lehrer? Dann werden sie junge Bürgerinnen und Bürger hervorbringen. Sie werden ihrerseits die Liebe zur Republik vermitteln. Auf immer und ewig werden sie nachfolgenden Generationen beibringen, unsere Nation, unsere Werte und unser Europa zu verstehen.

Ja, wir werden weitermachen mit diesem Kampf für die Freiheit und für die Vernunft, deren Gesicht Sie von nun an sind. Weil wir es Ihnen schuldig sind, weil wir es uns schuldig sind, weil in Frankreich, professeur, die Lichter der Aufklärung niemals erlöschen. Es lebe die Republik. Es lebe Frankreich.