Frankreich und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

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Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (kurz: „Europäische Menschenrechtskonvention“, EMRK) wurde innerhalb des Europarats ausgearbeitet, am 4. November 1950 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegt und trat im September 1953 in Kraft. Frankreich hat die Konvention am 3. Mai 1974 ratifiziert und das Recht auf Individualbeschwerde 1981 anerkannt.

Zusammensetzung und Arbeitsweise des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Jede Person hat die Möglichkeit, eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einzulegen, sofern alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft wurden und die Rechtsache in den Anwendungsbereich der Europäischen Menschenrechtskonvention fällt.
Spricht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil, muss der betroffene Staat die notwendigen Durchführungsmaßnahmen ergreifen, um einem erneuten Verstoß vorzubeugen (die Urteile sind nach Artikel 46 EMRK bindend). Die Durchführung des Urteils wird vom Ministerkomitee des Europarats überwacht. Die Staaten müssen demnach vorweisen, welche individuellen Maßnahmen (z. B. finanzielle Entschädigung) bzw. allgemeinen Maßnahmen (Anpassung der Gesetzgebung) ergriffen wurden.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat seinen Sitz in Straßburg und setzt sich aus 47 Richterinnen und Richtern zusammen (für jeden Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention wird ein Richter oder eine Richterin gewählt).

Der derzeitige Präsident des Gerichtshofs ist der für Island gewählte Richter Róbert Spanó. Vor ihm hatte der griechische Richter Linos-Alexandre Sicilianos dieses Amt inne. Róbert Spanó wurde im Alter von 47 Jahren von den Richterinnen und Richtern des Gerichtshofs gewählt und ist damit der bisher jüngste Präsident des EGMR.

Der französische Richter und conseiller d’État („Staatsrat“) Mattias Guyomar trat am 22. Juni 2020 als Nachfolger von André Potocki seine nicht verlängerbare Amtszeit von 9 Jahren an. Zuvor war er im Conseil d‘État als Berichterstatter in der verwaltungsrechtlichen Abteilung, als Leiter des Dokumentationszentrums, als staatlicher Berichterstatter in der verwaltungsrechtlichen Abteilung, als Regierungskommissar beim Tribunal des conflits und als Beisitzer in der verwaltungsrechtlichen Abteilung tätig. Seit 2016 war er Kammervorsitzender der verwaltungsrechtlichen Abteilung.

Eine hohe Zahl eingehender Beschwerden beim EGMR

Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in denen ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention festgestellt wird, haben in der Praxis echte Konsequenzen, da sie nach Artikel 46 EMRK bindend sind und die betroffenen Staaten demnach Maßnahmen zum Vollzug der Urteile ergreifen müssen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist mit zahlreichen Beschwerden konfrontiert. Durch die verschiedenen Reformen seit 2011 konnte die Anzahl der anhängigen Beschwerden zwar deutlich reduziert werden, von 160.000 Beschwerden im Jahr 2011 auf 61.000 (am 29. Februar 2020), die Situation bedarf aber dennoch weiterer Beobachtung und es werden nach wie vor Überlegungen angestellt, um die langfristige Zukunft des konventionellen Systems sicherzustellen.

Frankreich macht einen geringen Prozentsatz der Gesamtzahl der Beschwerden aus, die beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt werden. Am 3. Juli 2020 waren 481 Beschwerden gegen Frankreich vor einem juristischen Spruchkörper des Gerichtshofs anhängig und damit weniger als 0,8 % der gesamten Beschwerden.

Frankreich und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

Von den gesamten Urteilen, die der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte im Jahr 2019 gefällt hat, richteten sich 1,64 % gegen Frankreich. Der EGMR behandelte 2019 597 Beschwerden gegen Frankreich, von denen er 578 für unzulässig erklärte oder nicht weiter prüfte (Beschwerden, die aus dem Register des Gerichtshofs gestrichen wurden).

Der Gerichtshof hat 19 Urteile ausgesprochen (zu 19 Beschwerden), wovon in 13 mindestens ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention festgestellt wurde. Trotz eines leichten Anstiegs im Jahr 2019, der sich teilweise dadurch erklären lässt, dass der Gerichtshof in 7 früheren Fällen bezüglich Polizeigewahrsam einen Verstoß feststellte, sind diese Zahlen seit 2010 konsequent zurückgegangen und seit einigen Jahren relativ stabil.

Dieser Rückgang macht deutlich, dass nachdem durch die Reformen bestimmte „strukturelle“ Probleme beseitigt werden konnten, die in der Vergangenheit zu vermehrten Beschwerden geführt hatten (insbesondere im Bereich von Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wie z. B. hinsichtlich der Urteilsfristen), aktuell keine massenhaften Streitsachen gegen Frankreich mehr auftreten.

Frankreich beteiligt sich aktiv an den Überlegungen hinsichtlich der längerfristigen Zukunft des Systems der Europäischen Menschenrechtskonvention, u. a. im Rahmen der hochrangigen Regierungskonferenz, die im Mai 2015 in Brüssel stattgefunden hat. Bei dieser Gelegenheit bekräftigten die Staaten die Bedeutung des Rechts auf Individualbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sowie des Subsidiaritätsgrundsatzes und richten den Fokus auf die gemeinsame Verantwortung der Mitgliedstaaten, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Ministerkomitees bei der Umsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention. In jüngerer Vergangenheit, im Rahmen der Konferenz von Kopenhagen im Mai 2018, setzte sich Frankreich dafür ein, dass die Staaten ihre Unterstützung der Menschenrechtskonvention und des EGMR angesichts der versuchten Infragestellung des Gerichtshofs bekräftigen.

Im Rahmen der Arbeiten des Lenkungsausschusses für Menschenrechte (der sich aus 47 Mitgliedstaaten des Europarats zusammensetzt und unter der Leitung des Ministerkomitees regierungsübergreifende Arbeiten im Bereich der Menschenrechte durchführt) trägt Frankreich zu den Arbeiten hinsichtlich der stärkeren Umsetzung des Systems der Menschenrechtskonvention auf nationaler Ebene bei sowie zur Verbesserung des Schutzes der sozialen Rechte in Europa.

Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention

Der Beitrittsgrundsatz der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention wurde im Vertrag von Lissabon festgeschrieben. Dennoch sind aufgrund des komplexen Rechtssystems Anpassungen an das Systems der Konvention notwendig, um eine nichtstaatliche Einrichtung als 48. Hohe Vertragspartei aufnehmen zu können.

Derzeit laufen innerhalb des Europarats diesbezüglich Verhandlungen, an denen sich Frankreich aktiv beteiligt.

Französischer Vorsitz im Ministerkomitee des Europarats

Frankreich hatte vom 17. Mai bis zum 27. November 2019 den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarats inne und wollte diesen nutzen, um einen Beitrag zur Modernisierung des Europarats zu leisten.

Eines der Ziele Frankreichs war es, das europäische System zum Schutz der Menschenrechte zu stärken. Hierzu veranstaltete Frankreich am 12. und 13. September 2019 eine Konferenz der obersten Gerichte der Mitgliedstaaten des Menschenrechtsrats und am 14. und 15. Oktober 2019 eine Konferenz der Justizministerinnen und -minister.

Stand November 2020