70 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte - Jean-Yves Le Drian - Generalversammlung der Vereinten Nationen (26. September 2018)

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Sehr geehrter Herr Generalsekretär, sehr geehrte Frau Hohe Kommissarin,
sehr geehrte Ministerinnen und Minister, liebe Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,

Frankreich, Deutschland, Costa Rica, Südkorea und Senegal freuen sich, Sie heute begrüßen zu dürfen, um das Erbe der 1948 in Paris angenommenen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu feiern.
Wir fühlen uns geehrt, dass wir auf diesem Podium den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres – der uns aufgrund seiner zahlreichen Verpflichtungen ein wenig früher verlassen wird – sowie die Hohe Kommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, begrüßen dürfen, der ich zu ihrer Ernennung gratuliere.

Im zweiten Teil dieser Veranstaltung wird auf diesem Podium ein von Kenneth Roth, Geschäftsführer von Human Rights Watch, moderiertes Gespräch stattfinden.

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Sehr geehrter Herr Generalsekretär, sehr geehrte Frau Hohe Kommissarin,
sehr geehrte Ministerinnen und Minister, liebe Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,

2018 begehen wir den hundertsten Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs; außerdem feiern wir den 70. Jahrestag der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 in Paris unterzeichnet wurde. Jahrestage eignen sich gut dazu, Bilanz zu ziehen. Und was die Menschenrechte anbelangt, so stelle ich bei einer Bilanz nach sechs Jahren Ausübung ministerieller Ämter, als Verteidigungs- und dann als Außenminister, einen allgemeinen und vielgestaltigen Rückschritt fest.

1. Zum ersten stelle ich eine exponentielle Zunahme von Verletzungen der Menschenrechte im Umfeld bewaffneter Konflikte fest. Wir haben es heute auf den Konfliktschauplätzen mit einem Wiederaufleben des gesamten Spektrums von Kriegsverbrechen zu tun – um die Bevölkerung zu terrorisieren, den Feind schneller in die Knie zu zwingen, eine Umgestaltung der Bevölkerung zu begünstigen. Dabei denke ich an absichtliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung, an den Gebrauch verbotener Waffen, an die Vertreibung von Bevölkerungsgruppen, an Hungersnöte und an die Verweigerung medizinischer Behandlung in Syrien. Dabei denke ich an standrechtliche Hinrichtungen in der Zentralafrikanischen Republik. Dabei denke ich an die systematische Anwendung von Folter und die zwangsweise Rekrutierung von Kindern durch die Miliz Boko Haram und im Südsudan. Alle Konflikte werden von einer Reihe systematischer Verletzungen der Menschenrechte begleitet, einschließlich sexueller Gewalt. Die am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen, insbesondere Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten, erleiden die schlimmsten Konsequenzen: Möglicherweise wurden in den vergangenen Jahren gegen die Jesiden und die Rohingya Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord begangen.

2. Zum zweiten stelle ich fest, dass den Menschenrechten immer weniger Platz eingeräumt wird und zwar auch in den demokratischen Gesellschaften. Das ist eine zwangsläufige Begleiterscheinung des Wiederauflebens nationalistischer und populistischer Diskurse – und Europa ist davon nicht ausgeschlossen. Zwanzig Jahre nach der Erklärung der Generalversammlung zu den Menschenrechtsverteidigern wird die Tätigkeit von Anwälten, Journalisten und Vertretern von NGOs durch Gesetze behindert, mit denen die Zivilgesellschaft unter dem Vorwand gesetzlicher Regelungen mundtot gemacht werden soll.
Diese Entwicklung geht einher mit etwas, das ich als „ideologische“ Infragestellung der Menschenrechte bezeichnen würde, im politischen Diskurs ebenso wie in den internationalen Gremien. Die Allgemeingültigkeit und die Vorrangstellung der Menschenrechte werden durch verschiedene Arten relativistischer Äußerungen in Frage gestellt. Die Institutionen, die sie verteidigen, wie z. B. das Hochkommissariat für Menschenrechte, werden im gleichen Zug in Frage gestellt.

3. Nichtsdestotrotz möchte ich hier daran erinnern, dass die Menschenrechte keine „Werte“ sind, die es an lokale Kulturen und Identitäten anzupassen gilt, und dass ihre Einhaltung nicht politischen Entscheidungen, sondern rechtlichen Verpflichtungen unterliegt. Dabei handelt es sich um Verpflichtungen und rechtliche Prinzipien, die durch feierliche Erklärungen und rechtlich bindende Verträge mit allgemeiner Gültigkeit garantiert sind. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte war die Grundlage für dieses schützende Gefüge. Seit 1948 wurde es um weitere Themen ergänzt – die Rechte von Frauen, die Rechte von Kindern und Jugendlichen, das Verschwindenlassen. Nun muss es auf neue Bereiche ausgeweitet werden, auf den digitalen Raum, den Schutz von Journalisten, das Recht auf eine gesunde Umwelt, den Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten. Frankreich hat diesen Kampf gemeinsam mit anderen entschieden angenommen, tritt für das Projekt eines Globalen Umweltpaktes ein und ergreift Initiativen zum Schutz von Zivilpersonen und Journalisten. Frankreich wird auch weiterhin versuchen, einen Konsens herbeizuführen, damit die Todesstrafe weltweit abgeschafft wird, jegliche Form von Diskriminierung einschließlich der wegen sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität abgeschafft wird und die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen geachtet werden – dabei denke ich insbesondere auf das Recht auf Abtreibung.

4. Dieses seit der Annahme der Allgemeinen Erklärung im Jahr 1948 geschaffene Gefüge gilt es heute zu verteidigen. Priorität hat dabei die Schaffung eines rechtlichen Raumes zum Schutz der Menschenrechte. Sobald gegen die völkerrechtlich bindenden Regeln der Menschenrechte verstoßen wird, müssen die Täter verfolgt werden – auf die gleiche Art und Weise wie im allgemeinen Recht. Und diese Justiz muss unvoreingenommen und unabhängig arbeiten können. Aus diesem Grund wird Frankreich die Arbeit des IStGH zur Aufklärung der gegen die Rohingya verübten Verbrechen unterstützen – Verbrechen, bei denen es sich um Kriegsverbrechen, um Verbrechen gegen die Menschlichkeit und um Völkermord handeln könnte. Aus dem gleichen Grund fordert es alle Staaten, die das noch nicht getan haben, dazu auf, dem Römischen Statut beizutreten. Ohne Verpflichtung, ohne Mechanismen zum Kampf gegen Straflosigkeit sind die internationalen Menschenrechtsnormen ein wirkungsloses Recht – in dieser Hinsicht möchte ich die Arbeit der Außerordentlichen Afrikanischen Kammern beim Prozess gegen Hissène Habré hervorheben.
Wir müssen darüber hinaus die Stellung der Menschenrechte in allen Handlungsfeldern der Vereinten Nationen stärken. Bei den friedenserhaltenden Operationen wird den Menschenrechten inzwischen eine besondere Bedeutung zugemessen. Und die seit der Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ beschlossenen Texte sind ein wesentlicher Schritt zur Einbeziehung der Frauen in die Friedensprozesse. Das Hochkommissariat und die Mechanismen des Menschenrechtsrats, die Frankreich seit ihrer Einführung unterstützt, sind ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Förderung und Umsetzung dieser Errungenschaft. Aus diesem Grund wird sich Frankreich für den Zeitraum 2021-2023 um einen Sitz im Menschenrechtsrat bewerben.
Schließlich ist für einen Vormarsch der Menschenrechte ein verstärkter Dialog zwischen den Staaten und der Zivilgesellschaft erforderlich, mit Advocacy-Akteuren und Akteuren vor Ort. Das wird die Devise und das Ziel des Friedensforums sein, das im November in Paris stattfinden wird.
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Wir sind heute hier als Vertreter mehrere Kontinente zusammengekommen und beweisen dadurch, das die Menschenrechte nicht die Angelegenheit eines Kulturraums sind; wir bekräftigen unser Bekenntnis zum internationalen System zur Förderung der Menschenrechte, zur Stärke rechtlicher Regeln und zu multilateralen Institutionen.
So können wir die Verdienste derjenigen, die vor siebzig Jahren auf den Ruinen eines weltweiten Konfliktes, der den europäischen Kontinent verwüstet hatte, eine Allgemeine Erklärung verfassten, am besten würdigen. Mit unserer heutigen Zusammenkunft erklären wir feierlich, dass die universalistische Errungenschaft von 1948 unser Erbe ist, ein „gemeinsames Gut“ der Menschheit, das wir zu verteidigen bereit und mit Leben zu erfüllen entschlossen sind./.